Der PHAGRO | Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels e.V. (PHAGRO) bedankt sich für die Möglichkeit der Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Medizinforschungsgesetzes (BT-Drs. 20/11561) vom 29. Mai 2024.
Der PHAGRO nimmt Stellung zu der in Artikel 1 Ziffer 16 des Gesetzentwurfes eines Medizinforschungsgesetzes (MFG) vorgesehenen Neufassung des § 78 Absatz 3 a AMG bezüglich der Preisbildung für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen. Diese Neuregelung würde deutliche finanzielle Mehrbelastungen der Mitgliedsunternehmen des PHAGRO, die vollversorgenden pharmazeutischen Großhandlungen in Deutschland, verursachen. Grund sind höhere Fremdkapitalkosten, die für den Einkauf und die Beschaffung der betroffenen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen durch den Großhandel bei den pharmazeutischen Unternehmern aufzubringen wären.
Zu Artikel 1 Nr. 16
Gemäß § 78 Absatz 3 a Satz 4 ff. (neu) AMG sollen pharmazeutische Unternehmer die Möglichkeit erhalten, vertrauliche Erstattungsbeträge bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu vereinbaren. In diesem Fall würden pharmazeutische Unternehmer in den öffentlichen Preisinformationsdiensten der Informationsstelle für Arzneispezialitäten (IFA) einen frei bestimmbaren Abgabepreis (ApU) melden. Auf der Grundlage und Preisbasis dieses durch den pharmazeutischen Unternehmer frei bestimmbaren ApU würde dann die Preisbildung von Großhandel und Apotheken gemäß §§ 2 und 3 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) erfolgen.
Die pharmazeutischen Unternehmer sollen den vertraulichen Erstattungsbetrag (ausschließlich) den Anspruchsberechtigten mitteilen müssen und gegenüber diesen die Differenz zum tatsächlich gezahlten ApU ausgleichen (inkl. zu viel gezahlter Handelszuschläge und UmSt.). Das BMG geht von jährlich ca. 40 Markteintritten von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen aus.
Der PHAGRO lehnt die Einführung vertraulicher Erstattungsbeträge ab, wenn diese zu Lasten des pharmazeutischen Großhandels erfolgen soll. Denn erfolgt die Preisbildung gemäß AMPreisV künftig auf der Basis „fiktiver“ Abgabepreise des pharmazeutischen Unternehmers, würde dies unweigerlich zu höheren Einkaufspreisen und damit zu höheren für deren Finanzierung erforderlichen Fremdkapitalkosten bei entsprechend höheren Finanzierungsrisiken führen, die der pharmazeutische Großhandel aufbringen und tragen müsste. Diese Mehrbelastung wird bei der Betrachtung der Preismeldungen der heutigen Arzneimittel mit Erstattungsbetrag deutlich. Pharmazeutische Unternehmer melden für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, für die ein Erstattungsbetrag festgelegt wird, neben dem ApU (heute = Erstattungsbetrag), der Basis der Spannenberechnung für Großhandel und Apotheken gemäß §§ 2 und 3 AMPreisV ist, einen so genannten Preis des pharmazeutischen Unternehmers (PPU), der die Funktion eines Listenpreises einnehmen soll. Stand Ende 2023 gab es ca. 880 Arzneimittel (ohne Importe) mit Erstattungsbetrag. Diese hatten einen durchschnittlichen ApU von 1.700 Euro bei einem durchschnittlichen PPU von 2.400 Euro.
Würde der PPU zu dem neuen „fiktiven“ ApU werden, müssten pharmazeutische Großhandlungen auf Grundlage der dargestellten Preisdifferenz künftig für jede Packung durchschnittlich 700 Euro bzw. 40 Prozent mehr aufwenden und fremdfinanzieren, ohne dass sie dafür eine entsprechend höhere Vergütung erhalten. Dies liegt an der Systematik der gesetzlichen Großhandelsspanne, die – anders als bei der Apothekenvergütung gem. § 3 AMPreisV – bei einem ApU von 1.200 Euro bzw. einer Vergütungshöhe von 37,80 Euro gekappt wird.
Auch wenn die Neuregelung prospektiv wirken soll, verdeutlicht die retrospektive Betrachtung aller bis Ende 2023 durch die PHAGRO-Mitgliedsunternehmen ausgelieferten Erstattungsbetragsarzneimittel mit einen ApU größer 1.200 Euro die Dimension der Mehrbelastung für den pharmazeutischen Großhandel. Bezogen auf deren Absatzmenge im Jahr 2023 hätten die PHAGRO-Mitgliedsunternehmen zusätzlich 3,3 Milliarden Euro aufgrund höherer Einstandspreise aufwenden müssen. Bei einem Leitzins der Europäischen Zentralbank von aktuell 4,5 Prozent müssten die PHAGRO-Mitgliedsunternehmen für die Vorfinanzierung zusätzlich Fremdkapitalkosten von jährlich mindestens 10 Millionen Euro tragen.
Der vollversorgende pharmazeutische Großhandel ist nicht bereit, eine solche perspektivische Mehrbelastung aus Gründen einer Vertraulichkeitsregelung für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen ohne Kostenausgleich und staatliche Gegenfinanzierung zu tragen.
Bereits heute binden immer mehr teurere Arzneimittel immer mehr Kapital bei steigenden Fremdkapitalkosten mit einem entsprechend erhöhtem Absatzrisiko bei immer niedrigeren Margen. Der Absatz hochpreisiger Arzneimittel mit einem ApU von mehr als 1.200 Euro hat sich von 2012 bis heute mehr als verdreifacht und steigt weiterhin an. Durch den vorliegen-den Referentenentwurf des Medizinforschungsgesetzes würde dieser Trend noch weiter verschärft werden.
Den dringenden Anpassungsbedarf der seit dem Jahr 2012 inhaltlich und strukturell weitestgehend unveränderten gesetzlichen Großhandelsvergütung verdeutlicht die Entwicklung der Großhandelsmarge, die in Folge der gesetzlichen Großhandelsspannenregelung von 5 Prozent im Jahr 2012 auf zuletzt nur noch 3,8 Prozent gesunken ist. Hierfür ist allein die starke Zunahme der Hochpreiser und die weitgehende Entkopplung der gesetzlichen Großhandelsvergütung von der Preisentwicklung bei Arzneimitteln mit einem ApU über 1.200 Euro aufgrund der Kappungsgrenze verantwortlich.
Sollte der Gesetzgeber trotz der skizzierten Problematik an der geplanten Neuregelung fest-halten wollen, fordert der PHAGRO einen Ausgleich der durch den Gesetzgeber verantworteten Mehrbelastung.
Abschließend weist der PHAGRO darauf hin, dass die vorgesehene Einführung vertraulicher Erstattungsbeträge die Anpassung bestehender Datenbanksysteme zur Kennzeichnung der von der Vertraulichkeit betroffenen Artikel erfordern würde. Die Notwendigkeit einer Meldung, dass ein vertraulicher Erstattungsbetrag zwischen pharmazeutischem Unternehmer und Krankenkasse vereinbart ist, als auch die Angabe der konkreten Zuzahlung, die auf dem tatsächlich vereinbarten Erstattungsbetrag beruht, erfordert einen Datenbankausbau und damit einen weiteren bürokratischen Aufwand.
Dies berührt alle Datenbanken im Arzneimittelbereich, die von der IFA GmbH – dort melden alle pharmazeutischen Unternehmer ihre jeweiligen Preisinformationen – mit Stammdaten versorgt werden, insbesondere Avoxa/ABDATA, der vollversorgende pharmazeutische Großhandel, der GKV-Spitzenverband, die Private Krankenversicherung und die Softwareanbieter der Ärzte- und Apothekerschaft. All diese Datenbanken müssten auf der Grundlage des vorliegenden Referentenentwurfes erweitert und die Datenbankstruktur mit allen beteiligten Institutionen und Unternehmen abgestimmt werden, um die Umsetzung der neuen Logik vertraulicher Erstattungsbeträge sicherzustellen. Der erforderliche Zeitaufwand zur qualitätsgesicherten Umsetzung bedarf dafür je nach Komplexität regelmäßig einer Vorlauf-zeit von einigen Wochen bis zu mehreren Monaten. Daraus folgt, dass der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes eine entsprechende, die Möglichkeiten der IFA GmbH berücksichtigende Übergangsfrist beinhalten sollte.