Faktencheck Lieferengpässe


Lieferengpässe
… sind eine über voraussichtlich zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann. Sie sind aber nicht in jedem Fall mit therapeutisch relevanten Versorgungsengpässen für Patienten gleichzusetzen.

Für Lieferengpässe
… sind eine Vielzahl an Gründen ursächlich. Seit einigen Jahren ist eine Verlagerung der Produktion pharmazeutischer Wirkstoffe in außereuropäische Länder bei gleichzeitiger Konzentration auf wenige Produktionsstätten zu beobachten. Treten dort Schwierigkeiten auf, kann der weltweit wachsende Bedarf nicht bedient werden. Die Folge sind Lieferengpässe in Deutschland und anderen europäischen Ländern.

Kontingentierung von Medikamenten
… sind mengenmäßige Beschränkungen (Quotierungen) durch pharmazeutische Unternehmer, die unterschiedliche Ursachen und Gründe haben können und nicht zwingend auf einem Lieferengpass beruhen müssen. Die genauen Gründe kann nur der jeweilige Hersteller klären.

Die Betroffenheit des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels
… durch Kontingentierungen oder gänzlich ausbleibende Lieferungen pharmazeutischer Unternehmer ist erheblich. Die Großhandlungen unternehmen bereits heute erhebliche Anstrengungen, die bedarfsgerechte Versorgung der Apotheken trotz auftretender Lieferengpässe zu gewährleisten. Hierzu betreiben sie ein umfassendes Lieferengpassmanagement mit einer fortlaufenden Prüfung und Anpassung der Arzneimittellager an Verfügbarkeit und Nachfrage, entwickeln neue Bevorratungsalgorithmen, erhöhen wenn möglich Ihre Vorratshaltung oder gleichen regionale Nichtverfügbarkeiten durch bundesweite Verbundlieferungen aus.

Der Schritt vom Lieferengpass zum Versorgungsengpass
… ist ein bestimmtes Medikament eines bestimmten Herstellers nicht lieferbar, kann es oft durch ein wirkstoffgleiches Präparat eines anderen Herstellers ersetzt werden, ohne dass die Arzneimitteltherapie des Patienten beeinträchtigt wird. Gibt es allerdings keine gleichwertigen Alternativen und kann der Patient nicht angemessen versorgt werden, wird aus dem Lieferengpass dann ein Versorgungsengpass, wenn der entsprechende Arzneimittelwirkstoff auf den Listen der vom BfArM als versorgungsrelevant bzw. mit einem akut erhöhten Versorgungsrisiko eingestuften versorgungskritischen Wirkstoffe aufgeführt ist.

Arzneimittelengpässe infolge des Corona-Virus
… sind in Deutschland bislang nicht festzustellen und auch kurzfristig nicht zu erwarten. Eine Änderung der Versorgungssituation droht langfristig nur dann einzutreten, wenn die Wirkstoffproduktion in China über viele Monate hinweg zum Erliegen kommt.

Bisherige Maßnahmen der Vollversorger
… sie beteiligen sich über ihren Bundesverband PHAGRO bereits seit Langem aktiv am „Jour Fixe“ des BfArM zum Thema „Lieferengpässe“, und haben in der Vergangenheit im Einzelfall unverzüglich Informationen über Bestände lieferengpassbetroffener oder -gefährdeter Arzneimittel, auch auf der Grundlage der derzeitigen Liste des BfArM, die auf den freiwilligen Informationen der Hersteller beruht, übermittelt. Alle Beteiligten des Jour Fixe und der gesamten Arzneimittellieferkette haben bisher auf dieser Grundlage in konstruktiver Art und Weise gemeinsam zu einer Verbesserung der Versorgungssituation beitragen können.

Zahl der nicht lieferbaren Arzneimittel
… der PHAGRO orientiert sich an den entsprechenden aktuellen öffentlichen Listen des BfArM und des PEI. Andere Zahlen liegen dem Verband nicht vor.

Gibt es die eine Lösung?
Es ist hinsichtlich der Bedeutung einzelner Lieferengpässe für die Versorgung mit Arzneimitteln eine differenzierte Betrachtung und Einzelfallanalyse erforderlich, um mit den jeweils geeigneten Maßnahmen reagieren zu können.

Zur aktuellen politischen Diskussion:

Vorschlag zur Einrichtung eines Beirates beim BfArM
Der PHAGRO begrüßt, dass beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Beirat zur Beobachtung und Bewertung der Versorgungslage mit Humanarzneimitteln unter Verbandsbeteiligung des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels mit einem öffentlich-rechtlichen Auftrag eingerichtet wird.

Vorschlag zur Meldung von Daten
Die vollversorgenden pharmazeutischen Großhandlungen können dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Einzelanforderung und zur Abwendung oder Abmilderung eines drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpasses wertvolle Informationen zur Verfügung stellen, mit denen drohende Lieferengpässe besser erkannt und Transparenz über noch verfügbare Bestände geschaffen werden können. Dabei ist es aus Sicht des PHAGRO entscheidend, dass alle Akteure der Arzneimittellieferkette in die Abfrage von Bestands- und Absatzdaten einbezogen werden, um eine valide Datenbasis zur Einschätzung der Versorgungslage zu schaffen.

Vorschlag zur Einführung eines verbindlichen Meldesystems
Eine verbindliche Meldepflicht der Hersteller ist geeignet, zu größerer Transparenz und verbesserter Kommunikation in der Lieferkette beizutragen. Lieferengpässe verhindern können sie nicht. Maßnahmen zur Bekämpfung von Lieferengpässen müssen daher an den Ursachen ansetzen.

Vorschlag zur Vertiefung der Lagerhaltung
Maßnahmen, wie eine Vertiefung der Lagerhaltung von Arzneimitteln führen aber ins Leere, da die Erfahrung zeigt, dass sowohl bereits bei drohenden als auch insbesondere bei bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpässen die relevanten Arzneimittel kaum oder nicht mehr verfügbar sind. Eine Ausweitung der Lagerung von Medikamenten beim Großhandel würde das Verursacherprinzip ad absurdum führen.

Die Läger des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels sind auf die erforderlichen regulatorischen Anforderungen, die Nachfrage der Apotheken und auf Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte hin eingerichtet und weisen grundsätzlich keine nennenswerten freien Kapazitäten auf. Eine vertiefte Lagerhaltung wäre deshalb nicht nur mit unverhältnismäßigen logistischen Aufwänden, sondern auch mit immensen Kosten verbunden, da viele Arzneimittellager neu errichtet und betrieben werden müssten. Dies kann der Großhandel mit seiner heutigen Vergütung gemäß Arzneimittelpreisverordnung und angesichts der bisher vom Verordnungsgeber nicht ausgeglichenen Mehrkosten aufgrund gesetzlicher Vorgaben wie z. B. der EU-GDP-Leitlinien, der EU-Fälschungsschutzrichtlinie und der BSI-Kritisverordnung wirtschaftlich nicht mehr leisten. Die Bevorratung mit Arzneimitteln, für die es weder einen Bedarf noch einen Lieferengpass gibt, führt zu unverhältnismäßig hohen Belastungen auf der Großhandelsebene und ist versorgungspolitisch und wirtschaftlich widersinnig.

Stand: 16. März 2020