Medizinprodukte-Abgabeverordnung


Der PHAGRO bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem Referentenentwurf einer Dritten Verordnung zur Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung im Rahmen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Der pharmazeutische Großhandel unternimmt erhebliche Anstrengungen, eine sichere, flächendeckende und kontinuierliche Versorgung der Vor-Ort-Apotheken mit PoC-Antigen-Tests zur Abgabe durch Apotheken sicherzustellen. Die vollversorgenden pharmazeutischen Großhändler in Deutschland begrüßen und unterstützen daher das Ziel einer Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Medizinprodukten und Labordiagnostik zur Bewältigung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Gleichwohl bitten wir darum, nachfolgende Erwägungen für das weitere Verordnungsgebungsverfahren zu berücksichtigen:

  1. Zu Artikel 1 Nummer 2

Aufhebung der Abgabebeschränkung an Laien – Vertriebswegfestschreibung

Der RefE sieht die Aufhebung der bisherigen Abgabebeschränkung von Antigentests zur Eigenanwendung durch und an Laien vor.

Aufgrund der bisherigen Abgabebeschränkung an professionelle Anwender konnte der korrekte Einsatz und die korrekte Anwendung der Antigen-Tests gesichert und aufgrund der für die professionellen Anwender und diesen gegenüber ersichtliche Transparenz über die jeweiligen Testergebnisse eine entsprechende Transparenz und Klarheit über das Pandemie-Geschehen erreicht werden.

Der PHAGRO schlägt darüber hinaus auch aus Gründen der In-vitro-Diagnostik Sicherheit vor, einen primären Versorgungsweg über professionelle Anwender, einschließlich und insbesondere über Apotheken vorzusehen.

Anderenfalls besteht, insbesondere bei einer Abgabemöglichkeit über den Discounter- und freien Konsumgüterhandel die Gefahr, dass wesentliche Voraussetzungen für den Transport und die Lagerung von In-vitro-Diagnostika, wie sie durch den vollversorgenden pharmazeutischen Großhandel unter Einhaltung der Regeln der Good Distribution Practice (Guidelines of 5 November 2013 on Good Distribution Practice of medicinal products for human use (2013/C 343/01) auch bei Lagerung und Transport von In-vitro-Diagnostika eingehalten und umgesetzt werden, von anderen Wirtschaftsbeteiligten weder eingehalten noch deren Einhaltung entsprechend behördlich beaufsichtigt werden kann.

Insbesondere besteht aufgrund der fehlenden Privilegierung des qualifizierten Vertriebsweges über den pharmazeutischen Großhandel und Apotheken die Gefahr, dass Antigen-Tests aufgrund des erheblichen Preisdrucks im Konsumgüter- und Discounterhandel nicht mehr kostendeckend über den pharmazeutischen Großhandel und Apotheken abgegeben werden können.

Eine Abgabe von Antigentests zur Eigenanwendung durch und an Laien durch Apotheken kann ferner sicherstellen, dass Laien durch das Apothekenpersonal in der Anwendung und Auswertung der Antigentests unterwiesen werden. Entsprechend werden in Artikel 1 Nummer 1 zutreffend alle Betreiber des Medizinproduktes „PoC-Antigentest“ dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass nur Personen mit dem Anwenden und Betreiben von PoC-Antigentests beauftragt sind, die die dafür erforderliche Ausbildung oder Kenntnis und Erfahrung haben und in das anzuwendende Medizinprodukt eingewiesen sind (§ 4 Absatz 5 i.V. m. Absatz 2 MPBetreibV). Insofern sieht der Verordnungsgeber an dieser Stelle die Notwendigkeit des Vorhandenseins entsprechender Kenntnisse vor, die folgerichtig auch auf die Eigenanwendung durch und an Laien übertragen werden sollte.

An dieser Stelle weisen wir darauf hin, Antigen-Schnelltests zur Anwendung durch und an Laien ausreichend gebrauchtstauglich sein müssen und diese Gebrauchstauglichkeit durch eine Benannte Stelle im Rahmen eines Konformitätsbewertungsverfahrens bestätigt werden muss. Wir gehen davon aus, dass die überwiegende Anzahl der derzeit angebotenen Tests diese Anforderungen nicht erfüllt und daher weiterhin nicht an Laien abgegeben werden darf.

Daher bitten wir vor diesem Hintergrund um eine ausdrückliche Privilegierung des Vertriebsweges über den pharmazeutischen Großhandel und Apotheken.

  1. Zu Artikel 1 Nummer 1

Änderung von § 3 Abs. 4a MPAV – Abgabeberechtigung, berechtigte Abnehmer

Bisher war es für den Pharmagroßhandel üblich, nur solche Kunden zu beliefern, die zur Teilnahme am Arzneimittel- und Medizinprodukteverkehr berechtigt sind und dies i.d.R. durch entsprechende Erlaubnisse (Apothekenbetriebserlaubnis, Großhandelserlaubnis usw.) nachgewiesen haben. Eine qualifizierte dokumentarische und tatsächliche Lieferantenqualifizierung wird durch die Öffnung und Erweiterung der berechtigten Kunden und Abnehmer ohne jedwede regulatorische Mindestqualifizierung und entsprechende Prüfkriterien in Frage gestellt.

Künftig sind berechtigte Abnehmer auch ambulante Pflegedienste, Pflegeeinrichtungen, Obdachlosenunterkünfte. Flüchtlingsunterkünfte, sonstige Massenunterkünfte, berufsbildende Schulen, Kindertagespflegeinrichtungen. Angesichts dieser Vielfalt berechtigter Abnehmer gemäß § 3 Absatz 4a Medizinprodukte-Abgabeverordnung (neu) stellt sich die Frage, ob und wie der Pharmagroßhandel eine sachgerechte Kundenqualifizierung vornehmen muss oder überhaupt vornehmen kann.

Insofern bitten wir darum, die Maßgaben der dokumentarischen Kundenqualifizierung, d.h. den Nachweis der Berechtigungen gemäß § 3 Absatz 4a Medizinprodukte-Abgabeverordnung (Neu) so zu konkretisieren, dass eine eindeutige und qualitätsgesicherte dokumentarische Kundenqualifizierung vorgenommen werden kann, oder ausdrücklich die vorgelagerte Handelsstufe von einer Kundenqualifizierung freizustellen und die Beweislast für eine entsprechende Empfangsberechtigung alleinig den Empfangsberechtigten aufzuerlegen.

Beispielhaft werden die nunmehr zu den empfangsberechtigten Abnehmern zählenden „ambulanten Pflegdienste mit Intensivpflege“ angeführt. Diese sind z.B. doppelt qualifiziert, einmal über § 23 Abs. 3 Nr. 11 IfSG und ein zweites Mal über § 36 Abs. 1 Nr. 7 IfSG i.V.m. § 23 Abs. 5 Nr. 8 IfSG. Unklar bleibt hierbei für die vorgelagerte Handelsstufe, ob und wie die entsprechende Berechtigung des jeweiligen Empfangsberechtigten nachgewiesen werden muss oder kann,

Die Frage der Kundenqualifizierung stellt sich ebenso bei den kritischen Infrastrukturen. Da die Betreiber einer kritischen Infrastruktur aber eine Meldungsabgabepflicht haben, dürfte hier eine Identifizierung der berechtigten Abnehmer über geeignete Unterlagen/Nachweise leichter möglich sein. Die entsprechende Beweislast sollte bei den Empfangsberechtigten liegen und eine dokumentarische Kundenqualifizierung alleinig über das Einholen einer Konformitätsbestätigung mit einer Empfangsberechtigung gemäß § 3 Absatz 4 a Medizinprodukte-Abgabeverordnung (Neu) vorgenommen werden können.

Dabei ist festzuhalten, dass Einrichtungen und Unternehmen der kritischen Infrastrukturen mit Verwendung der Tests zu „Betreibern“ des Medizinproduktes werden, womit insofern zusätzliche Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten (Einsatz nur von qualifiziertem und besonders eingewiesenen Personal und Einhaltung der erforderlichen Anforderungen beim Einsatz etc.) und daraus folgende Haftungsfragen verbunden sind.

Hinsichtlich dieser Situation stellt sich die Frage, ob diese Einrichtungen nicht bereits jetzt häufig in großem Umfang über z.B. ihre Betriebsärzte Antigen-Tests beschaffen und mit der vorgesehenen Verordnungsänderung der Handlungsspielraum von Betreibern von Einrichtungen der kritischen Infrastruktur deklaratorisch erweitert wird.

Ungeachtet dessen weisen wir darauf hin, dass die Abgabe von Antigen-Tests an Einrichtungen der kritischen Infrastruktur ebenfalls über die Apotheken (und deren Bezug über den Großhandel) erfolgen sollte, weil hier die Einhaltung z.B. der Pflichten der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung durch die insofern geschulten Mitarbeiter und etablierten Strukturen standardmäßig sichergestellt werden kann.

Hierfür verweisen wir auf das über den Vertriebsweg pharmazeutischer Großhandel und Apotheke etablierte Rückruf- und Rücknahmesystem von In-vitro-Diagnostika, z.B. im Falle eines behördlich angeordneten Rückrufs. Nur so kann eine konsequente und schnelle Umsetzung der behördlich angeordneten Maßnahmen über Apotheke und Großhandel sichergestellt und nachgehalten werden.

Außerdem ist unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit auch darauf hinzuweisen, dass über die Versorgung des Großhandels und/oder der Apotheke im Falle von – bisher zwar noch nicht festzustellenden – Engpässen bei der Versorgung mit Tests ein wichtiger Beitrag für eine bessere und gleichmäßigere Verteilung von Test-Kapazitäten erbracht werden kann. Auf diese Weise könnte auch einem möglicherweise ungebremsten Abfluss (und übermäßiger Bevorratung) durch die Bestellungen einzelner großer Einrichtungen der kritischen Infrastruktur im Direktbezug entgegen gewirkt werden, sodass Engpass-Situationen zumindest auf diese Weise vermieden oder abgefedert werden können.

Hierbei ist auch darauf hinzuweisen, dass nur der vollversorgende pharmazeutische Großhandel durch die etablierten Abfragesysteme eine Transparenz über vorhandene Bestände, verfügbarkeits- und Liefersituationen herstellen kann. Sofern die vorhandenen Kapazitäten für den pharmazeutischen Großhandel und Apotheken durch die Direktbelieferung großer anderweitiger Einrichtungen der kritischen Infrastruktur erheblich verringert würden, hätten die Behörden derzeit keine Möglichkeit, von diesen Nachfragern umfassende und valide Informationen über den Verbleib, Bestände und Verfügbarkeiten einzufordern.

  1. Kennzeichnung von Antigen-Tests

Alle relevanten Produktinformationen bei einem Vertrieb von In-vitro-Diagnostika vom In-vitro-Diagnostika-Hersteller über den pharmazeutischen Großhandel bis zur Apotheke einschließlich der preislichen und abrechnungstechnischen Informationen werden vom In-vitro-Diagnostika-Hersteller an die Informationsstelle für Arzneispezialitäten (IFA) gemeldet und von Großhandlungen und Apotheken in ihre jeweiligen Warenwirtschaftssysteme eingespielt. Auf diesem Weg arbeiten alle Marktteilnehmer mit denselben Informationen.

Diese Produkt- und Preismeldungen existieren für Antigen-Tests bislang vielfach nicht. Tatsächlich hat nur ein kleiner Teil der Anbieter von Antigen-Tests, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) veröffentlicht, ihr jeweiliges Produkt bei der IFA registriert. Im Sinne einer einheitlichen und transparenten Einhaltung der ordnungsrechtlichen Maßgaben einschließlich der Medizinprodukte-Abgabeverordnung über die gesamte Lieferkette müssten jedoch verbindlich alle PoC-Antigen-Tests mit den korrekten Produkt- und Preisinformationen bei der IFA gemeldet werden.

Vor diesem Hintergrund ist eine Meldung von Produkt- und Preisinformationen von Antigen-Tests zwingend erforderlich.

Die unzureichende Meldelage von Antigen-Tests verhindert zudem eine rechtssichere Identifizierung der Tests als solche und erschwert die praktische Handhabung und Produkt-identifizierung in den Handelsstufen erheblich. Dies betrifft insbesondere „neuartige“, zur Eigenanwendung vorgesehene, Schnelltests. Bislang ist nicht ersichtlich, welche Produkte von einer Benannten Stelle für die Abgabe an Laien freigegeben wurden. Eine entsprechende Kennzeichnung ist jedoch zwingende Voraussetzung dafür, dass Laien tatsächlich nur zur Eigenanwendung zugelassene Antigen-Schnelltest erhalten.

Daher muss zumindest bis zu einer vollständigen Erfassung aller Antigen-Tests in den Produkt- und Preisinformationen der IFA die beim BfArM geführte Liste der Antigen-Tests zum direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 zu deren rechtsverbindlicher Identifizierung und zum Zwecke der Lieferantenqualifikation verwendet und anerkannt werden dürfen. Diese Listung muss ferner auch die produktbezogene Information enthalten, ob eine Freigabe durch eine Benannte Stelle zur Anwendung an und durch Laien vorliegt.

  1. Anpassungsaufwand

Die Prozesse im pharmazeutischen Großhandel sind rechtlich (bspw. AGBs usw.) aber auch tatsächlich (bspw. Tourenpläne usw.) auf die bekannten und entsprechend qualifizierten Abnehmer der Apotheken-, Pharma- und Gesundheitsbranche ausgerichtet. Durch die Vervielfältigung der berechtigten Abnehmer nach Medizinprodukte-Abgabeverordnung werden ggf. Anpassungsprozesse – einhergehend mit entsprechenden Kosten – erforderlich.

Insbesondere die Kurzfristigkeit der Erweiterung des Kreises der berechtigten Abnehmer führt zu erheblichen und in der kurzen Frist nur bedingt umsetzbaren Aufwänden auf der Beschaffungs- und Kundenqualifizierungsebene, abgesehen von den kurzfristig notwendig werdenden Maßnahmen der Etablierung der entsprechenden Vertriebs- und Distributionsprozesse unter Einhaltung der regulatorischen Anforderungen an den Vertrieb von In-vitro-Diagnostika.

Bei einer Freistellung der Abnehmerseite von den Qualitätsanforderungen für Lagerung und Transport von In-vitro-Diagnostika werden entweder für den pharmazeutischen Großhandel, der die Qualitätskriterien der Good Distribution Practice (Guidelines of 5 November 2013 on Good Distribution Practice of medicinal products for human use (2013/C 343/01) für Arzneimittel auch bei Lagerung und Transport von In-vitro-Diagnostika anlegt, erhebliche Wettbewerbsnachteile entstehen oder die bisherige Qualität und Sicherheit bei Lagerung und Transport von In-vitro-Diagnostika für alle Marktteilnehmer und zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher preisgegeben.

Der PHAGRO | Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels e. V. vertritt alle 10 in Deutschland ansässigen vollversorgenden pharmazeutischen Großhandlungen, die sämtliche öffentlichen Apotheken in Deutschland herstellerneutral mit allen von Patienten nachgefragten Arzneimitteln schnell, sicher und flächendeckend versorgen.