Hitze beeinträchtigt die Wirksamkeit von Arzneimitteln


In Deutschland und Europa werden immer häufiger Rekordtemperaturen erreicht. Das hat nicht nur erhebliche Auswirkungen auf Mensch und Natur. Auch Arzneien leiden unter extremer Hitze. Ob Fieberzäpfchen, Insulinampulle oder Anti-Baby-Pille – sind Medikamente bei Transport und Lagerung zu hohen Temperaturen ausgesetzt, kann ihre Wirksamkeit nachlassen. Was genau dabei passiert und worauf Verbraucherinnen und Verbraucher achten sollten, erklärt Prof. Dr. Regina Scherließ, Direktorin der Abteilung Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, im Interview mit dem PHAGRO.

PHAGRO: Wie wichtig ist die richtige Temperatur bei Transport und Lagerung von Arzneien?

Prof. Dr. Regina Scherließ: Das ist gerade an diesen heißen Sommertagen ein großes Thema, da rate ich zu großer Vorsicht. Viele Arzneimittel sind zwar relativ unempfindlich, sie müssen bei Raumtemperatur zwischen 15 und 25 Grad Celsius gelagert werden. Allerdings: Werden sie höheren Temperaturen ausgesetzt, wie es an heißen Sommertagen ja leicht der Fall sein kann, kann es auch bei diesen Medikamenten kritisch werden. Ein eingängiges Beispiel sind Zäpfchen. Bei zu großer Hitze schmelzen sie wie ein Eis an heißen Tagen und werden unbrauchbar. Andere Medikamente sind noch viel empfindlicher und müssen bei +2 bis +8 Grad Celsius oder sogar noch kühler gelagert werden. Seit der Corona-Pandemie wissen wir alle von den neuartigen mRNA-Impfstoffen, die teils bei minus 70 Grad Celsius eingelagert werden müssen.

Was genau passiert mit Arzneimitteln bei falschen Temperaturen?

In der Wissenschaft unterscheiden wir zwischen drei Stabilitätskriterien. Erstens die chemische Stabilität, das heißt die Wirkstoffkonzentration beispielsweise in einer Tablette, die bei großer Hitze abnehmen kann. Bereits eine Abnahme von 10 Prozent führt dazu, dass das Arzneimittel wissenschaftlichen Qualitätsanforderungen nicht mehr genügt und nicht mehr haltbar ist, da es weniger wirksam ist. Zweitens die physikalische Stabilität: Zäpfchen etwa schmelzen bei zu großer Hitze, Cremes trennen sich in ihre zwei Phasen. Drittens gibt es noch die mikrobiologische Stabilität, also die Möglichkeit, dass sich Keime im Arzneimittel ausbreiten. Das spielt bei wasserhaltigen Zubereitungen eine Rolle, etwa Hustensäften oder Augentropfen. Sie enthalten daher häufig Konservierungsmittel. Die Gefahr von Keimen ist der Grund, warum manche Medikamente nach dem Öffnen kürzer haltbar sind und beispielsweise binnen sechs Wochen verbraucht werden müssen.

Wie merke ich als Verbraucher oder Verbraucherin, dass etwas mit der Wirksamkeit meines Arzneimittels nicht mehr stimmt?

Bei Cremes und Zäpfchen ist das recht einfach festzustellen, sollten diese schmelzen oder flüssig werden. Anders bei Tabletten: Hier kann man von außen nicht erkennen, ob und wie sehr sie beeinträchtigt sind. Man merkt es, wenn überhaupt, an der geringeren oder ausbleibenden Wirkung. Was viele nicht wissen: Gerade Hormonpräparate können ihre Wirksamkeit verlieren. Ein Beispiel ist die Anti-Baby-Pille: Sie kann bei Raumtemperatur gelagert werden und muss nicht gekühlt werden. Aber bei höheren Temperaturen zersetzt sich das Hormon rascher, der Verhütungsschutz schwindet. Schnell mal die Pillenschachtel im Auto auf dem Weg zum Strand vergessen – und man kann sich auf den Schutz nicht mehr verlassen.

Wie halten Sie es denn persönlich mit der Lagerung Ihrer Arzneimittel?

Meine Arzneimittel lagere ich in einem nicht frei zugänglichen Fach im Kleiderschrank. Dort herrscht Raumtemperatur und sie liegen lichtgeschützt. Bewusst bewahre ich die Arzneimittel nicht im Badezimmer auf. Gerade nach einer heißen Dusche wird die Luft dort zeitweise sehr feucht-warm. Arzneimittel, die bei +2 bis +8 Grad Celsius gelagert werden müssen, liegen bei mir im Kühlschrank. Hier empfehle ich, die Packungen, gegebenenfalls in einer Brotdose, ins Gemüsefach zu legen, da dort die Temperatur besonders stabil ist. Ich rate davon ab, sie in die Kühlschranktür zu stellen, da aufgrund des häufigen Öffnens keine konstante Kühlung gegeben ist. Es muss auch sichergestellt sein, dass sie nicht einfrieren.