Selten geht man so ganz


Sie hat es schon einmal getan – und ist zurückgekommen. Diesmal ist es endgültig: Bernadette Sickendiek verlässt den PHAGRO. Zum 31. Dezember 2018 geht die langjährige Geschäftsführerin des Bundesverbandes des pharmazeutischen Großhandels in den Ruhestand. Die Mitgliedsunternehmen verabschiedeten Frau Sickendiek heute mit einer Feier im Rahmen der Mitgliederversammlung.

Es gibt nur wenige, denen ihr Job auf den Leib geschneidert ist. Bernadette Sickendiek ist eine davon. Für sie war Verbandsarbeit für den pharmazeutischen Großhandel nie „nur“ Beruf, sondern immer auch Berufung. Mehr als 20 Jahre lang führte sie die Geschäfte des PHAGRO: Von 1983 bis 1991 – in dieser Zeit war sie auch Justitiarin des Verbands – und von 2005 bis 2018. Dazwischen lebte sie 14 Jahre in Lateinamerika.

Sickendiek hat den größten Teil ihres Berufslebens beim PHAGRO verbracht – und dabei Verband und Branchenpolitik geprägt. In ihre Amtszeiten fielen Themen wie die Diskussion um die Großhandelsspanne und die Einführung nationaler und internationaler Gesetze, die den pharmazeutischen Großhandel betreffen; zuletzt das deutsche Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) und die EU-Leitlinien zur Good Distribution Practice (GDP). Vor allem aber baute Bernadette Sickendiek ein gut funktionierendes Hauptstadtbüro auf.

„Sie hat den PHAGRO nach innen und außen gut aufgestellt“, sagt Verbandsvorsitzender Dr. Thomas Trümper, der seit 12 Jahren eng mit Bernadette Sickendiek zusammenarbeitet. „Ihr größter Verdienst“, so Trümper, „sind die guten persönlichen Verbindungen, die sie zu Nachbarverbänden, Politik und Ministerien geknüpft hat.“

Eine erfolgreiche Bilanz also. Dabei sah es zunächst nicht danach aus. Als die Juristin 1983 beim PHAGRO anfängt, ist sie eine Exotin. Frauen in der Geschäftsführung eines Branchenverbands sind zu dieser Zeit alles andere als alltäglich. „Es war schon die Frage: Soll man eine Frau mit diesem Amt betrauen?“, erinnert sich der ehemalige PHAGRO-Vorsitzende Otto Weber, damals Geschäftsführer der Ferdinand Schulze GmbH (heute PHOENIX Pharmahandel GmbH & Co KG). „Mich hat sie überzeugt“, lacht er: „Sie machte so einen frischen Gesamteindruck.“

Seine Vorstandskollegen sehen das nicht alle so. Dass sie trotzdem eingestellt wird, ist ein Experiment: „Ich gebe Ihnen ein Jahr“, habe einer der Vorstände zu ihr gesagt, erinnert sich Sickendiek selbst. „Ein Jahr ist lang“, hat sie geantwortet – und hat es genutzt. Musste es nutzen, denn gleich zu Beginn stehen zwei Herausforderungen an: ein kniffliges wettbewerbsrechtliches Verfahren und die Feier zum 80. Jubiläum des PHAGRO.

Bernadette Sickendiek hat beides gut gelöst. Wie so oft – denn Lösungen finden ist für sie ein zentrales Lebensthema. Ihr Berufsweg ist das beste Beispiel: Eigentlich will sie nach dem Abitur Biologie studieren, um als Verhaltensforscherin in Afrika zu arbeiten. Ihr großes Vorbild: die britische Primatenforscherin Jane Goodell. Aber sie bekommt keinen Studienplatz. Sie braucht ein Wartestudium, wählt Jura und lernt die ausgleichende, lösungsorientierte Denkweise der Juristen schätzen. Das neue Berufsziel: Richterin. „Positionen abwägen und Ergebnisse finden – das hat mir immer gelegen“, sagt sie.

Auch damit klappt es nicht, denn als sie Ende 1981 das 2. Staatsexamen ablegt herrscht Juristenschwemme. Sickendiek fängt in einer kleinen Anwaltskanzlei an, bearbeitet Scheidungen – und merkt schnell: Das ist es nicht. Nur wenig später bekommt sie die Stelle beim PHAGRO. Auch für Bernadette Sickendiek ist die Position als Justitiarin und Geschäftsführerin zunächst ein Test. Eine „Übergangslösung“, die acht Jahre anhält. Erst 1991 verlässt sie den Verband, folgt ihrem Ehemann in dessen Heimat Peru und zieht sich zunächst ins Privatleben zurück. Später arbeitet sie als Anwältin in der Dominikanischen Republik.

Als der PHAGRO Anfang der 2000er Jahre erneut einen Geschäftsführer sucht, nimmt Dr. Fritz Oesterle, damals Vorstand der Celesio AG, Kontakt mit Sickendiek auf. Sie lehnt ab. Aber Oesterle lässt nicht locker. Und er schafft es. 2005 kehrt Bernadette Sickendiek nach Deutschland und zum PHAGRO zurück. Warum gerade sie? Da muss Oesterle nicht lange überlegen: „Sie kann unglaublich gut Männer führen. Sie ist ein starker Charakter, schnell im Kopf, steht zu ihrer Meinung und setzt die auch durch.“

Gut 13 Jahre dauert ihre zweite Amtszeit beim PHAGRO – und sie endet mit einem Neuanfang: Schon früh hat sich Sickendiek nach potenziellen Nachfolgern umgesehen und sie eingearbeitet. Im September 2018 hat sie das operative Geschäft an Michael Dammann und Thomas Porstner abgegeben. Ende Dezember scheidet sie aus der Geschäftsführung aus. Mit ihrer Pensionierung verliert der Verband eine erfahrene Geschäftsführerin – und die Branche eine ebenso engagierte wie gut vernetzte Expertin im Berliner Polit-Betrieb. Naja – nicht ganz. Bernadette Sickendiek wird der Gesundheitspolitik auch künftig verbunden bleiben. Zum Beispiel mit ihrem ehrenamtlichen Engagement für die Healthcare Frauen. Eine solche Frau geht eben selten so ganz.